Reinhard Bütikofer zu Netzsperren und Social Media in der politischen Kommunikation

@Bueti

Bütikofer in der Bütt

Reinhard Bütikofer hat es nicht wirklich leicht heute. Vielleicht fünfzig, sechzig Zuhörer haben sich auf dem Leipziger Nikolaikirchhof eingefunden, um Bütikofer zu sehen, immerhin Spitzenkandidat der Grünen für die in zwei Wochen stattfindenden Europawahlen. Die wenigen, die gekommen sind, verlieren sich fast auf dem Platz zwischen Bühne und Fußgängerzone.

Bütikofer redet frei und in kurzen Sätzen. Er wünscht sich eine höhere Wahlbeteiligung bei den Europawahlen, skizziert die Positionen der Grünen, die klassischen Themen, spricht viel vom Green New Deal. Überzeugungsarbeit muss der Spitzengrüne an diesem Samstagnachmittag in Leipzig nicht leisten, die wenigen Zuhörer dürften zum harten Kern der Leipziger Grünen gehören. Kaum einer der Passanten auf der Nikolaistraße bleibt stehen. Die Bühne ist zu klein und zu weit weg. Verstehen kann man Bütikofer in der Fußgängerzone auch nicht richtig.

Unter den Zuhörern sind allerdings noch ein paar Teilnehmer des Flashmobs, bei dem auf dem Augustusplatz das Grundgesetz vorgelesen wurde. Spontan beschließen @denQuer, @JuergenChrist und ich, Reinhard Bütikofer nach seiner Rede zum Thema Internetsperren zu befragen.

Bütikofer erweist sich als sympathisch und offen. Wir stellen uns und unser Anliegen vor. Was ist die Position der Grünen zu den Netzsperren, was hält er persönlich davon wollen wir wissen.

@Bueti twittert per Blackberry

Seine Antworten sind knapp: Die Position der Partei könne er mir als Link schicken, ich solle ihm doch per Twitter kurz eine Nachricht schicken. Auch seine persönliche Meinung zu #Zensursula bringt er in einem – offensichtlich bewusst twitterkompatibel formulierten Satz unter:

„Was die Netzsperren betrifft, so mache ich mir die Aussagen der @zeitrafferin zu eigen“

Keine dreißig Sekunden nachdem @denQuer diese Aussage sinngemäß twittert, zückt Bütikofer sein Blackberry, schaut kurz darauf und will wissen, wer von uns dreien @denQuer sei.

Ich bin verblüfft und tatsächlich beeindruckt. Der Mann kann mit Twitter umgehen. Zu Beginn seiner Rede hatten wir noch – nur halb scherzhaft – darüber spekuliert, ob vielleicht jemand aus seinem Umfeld hinter der Bühne für ihn twittert.

Twitter und Facebook als Kommunikationstools

Im weiteren Verlauf des Gesprächs, das @JuergenChrist in Teilen auch auf Video aufgezeichnet hat, diskutieren wir angeregt über die Chancen von Social Media und Web 2.0 in der politischen Kommunikation. Bütikofer sagt, Twitter sei ein echter Gewinn für ihn. Er nennt den Twitter-Feed der israelischen Haaretz und spricht von einem Bauchgefühl, das sich relativ schnell eingestellt habe: Anhand von wenigen Reaktionen auf Twitter lasse sich extrapolieren, wie Themen oder Thesen in der Öffentlichkeit aufgenommen werden.

Bütikofer betont, dass die Nutzung von Social Media Tools wie Twitter oder Facebook in erster Linie die persönliche Entscheidung des jeweiligen Politikers sei. Die Nutzung müsse authentisch sein, und lasse sich auch nicht durch Public Affairs Agenturen vermitteln. Dabei seien die Vorteile ja offensichtlich: Wenn er etwas ins Netz schreibe, meine er es so „bis auf die Setzung des Kommas genau“ – ein Vorteil gegenüber der klassischen Medienarbeit mit Journalisten.

Natürlich kommen wir auch auf den amerikanischen Online-Wahlkampf zu sprechen, den Bütikofer genau verfolgt hat. Es sagt, den Republikanern und Demokraten haben die gleichen Werkzeuge zur Verfügung gestanden – mit dem Unterschied, dass bei den Republikanern versucht worden sei, die Kommunikation von oben zu steuern, während die Demokraten von unten, weniger gesteuert kommuniziert hätten.

Auf den SPD-Mann Wiefelspütz und seinen bemerkenswert ignoranten Kommunikationsstil auf Abgeordnetenwatch angesprochen, antwortet der Grüne: Man dürfe das auf keinen Fall persönlich nehmen, Wiefelspütz sei halt nun mal kein sehr dialogischer Mensch.

@Bueti beweist Neue-Medienkompetenz

Aus der spontanen Idee, einen deutschen Spitzenpolitiker einfach mal direkt zu fragen, was er zu Themen zu sagen hat, die uns derzeit bewegen, ist ein interessantes, wenn auch naturgemäß kurzes, Gespräch geworden, das mich nachhaltig beeindruckt hat. Bütikofer hat Neue-Medienkompetenz bewiesen. Einen nicht zu unterschätzenden Anteil daran dürfte Julia Seeliger (die bereits oben erwähnte @zeitrafferin) haben, die nach Bütikofers Angaben, seine Website betreut.

Fazit: Befragt die Politiker, protokolliert und nehmt es auf!

Wahlkämpfende Politiker sind, unabhängig ihrer jeweilen Couleur, gut erreichbar und für Gespräche mit Ihren potentiellen Wählern offen. Aktuell stehen sie oft auf Marktplätzen – geht auf sie zu, sucht das Gespräch. Eventuell hilft es, den Gesprächswunsch beim jeweiligen PR-Menschen vor Ort anzumelden. Stellt euch vor und fragt, ob ihr Eure Unterhaltung aufzeichnen und veröffentlichen dürft.

Nach den positiven Erfahrungen mit Bütikofer werde ich nun versuchen, in Darmstadt mit den dortigen Europa- und Bundestagskandidaten ins Gespräch zu kommen. Immerhin ist Justizministerin Dr. Zypries die gewählte Abgeordnete meines Wahlkreises in Darmstadt.

@JuergenChrist will in den kommenden Tagen mit Renate Künast und Guideo Westerwelle sprechen. Beide werden in Leipzig sein und öffentlich sprechen.

Seine Eindrücke des Gesprächs mit Reinhard Bütikofer sind auf seinem Blog telemat.de (mit einem kleinen Video!) zu finden.

Nachtrag: Markus hat ein How-To verfasst, wie man Politiker (MdBs) kontaktieren kann, um mit Ihnen über Netzsperren zu sprechen.

Veröffentlicht von Andreas

Andreas Schepers leitet die Kommunikation des Berliner Labors des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz, DFKI. Hier schreibt er privat über Dinge, die ihn interessieren: Astronauten, Pop, etc... und KI.

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9 Kommentare

  1. Nachdem ich deinen Blog gelesen hatte musste ich doch mal direkt rüber zu telemat.de, um mich vom Video zu überzeugen. In der Tat bin ich doch sehr positiv davon überrascht, dass neben vieler Schwallerei es anscheinend „A-Politiker“ hinbekommen scharfsinnig die Möglichkeiten des Web 2.0 filtriert zu nutzen ohne sich in der Nebenwolke der Schwallerein zu verlieren, was, wenn man nicht aufpasst in diesem Web schnell passieren kann… klingt gut und danke @AndreasSchepers für diese schöne Zusammenfassung.

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