Wahlkampf Royal

Ségolène Royal
(Foto: Parti Socialiste)

Schaut man auf die Liste der meistgesuchtesten Begriffe bei Technorati, tauchen dort in letzter Zeit mindestens zwei Begriffe auf, die für ein internationales Publikum erklärungsbedürftig sind. Während nämlich hierzulande die Blogosphäre ausführlichst über die Sprengkraft der StudiVZ-Dombe (Nils) spekuliert, reibt man sich auf der anderen Seite des Rheins verwundert die Augen. Ein Online-Skandal erschüttert den französischen Vorwahlkampf. In den Hauptrollen: die sozialistische Kandidatin zur Kandidatur Ségolène Royal, ein Video bei DailyMotion und der Kleinanzeigenhändler Google.

Welche politische Brisanz muss ein Video einer kleinen lokalen Parteiveranstaltung in der Provinz haben, dass es innerhalb von wenigen Tagen eine halbe Million mal angesehen wird, dass unter falschem Namen Google Ads dazu geschaltet werden, so viele Menschen danach suchen und die linearen Medien sich darauf stürzen?

Derzeit werden die Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen gewählt. Auf der bürgerlich konservativen Seite scheint die Sache klar zu sein. Der derzeitige Innenminister Nicolas Sarkozy, wir erinnern uns, der Mann der noch im letzten Jahr die Vorstädte mit dem Hochdruckreiniger vom Gesindel befreien wollte und aktuell wieder durch seine rigurose Ausländerpolitik auffällt, wird wohl das Rennen machen. Auf der anderen Seite stehen die Sozialisten, die in parteiinternen Vorwahlen heute ihren Kandidaten wählen. Zur Wahl stehen mit Ex-Premier Laurent Fabius ein traditioneller Linker, mit Dominique Strauss-Kahn ein Vertreter moderner Sozialdemokratie und eben die über allem zu schweben scheinende Segolène Royale. Royale führt bereits seit Wochen in den Umfragen, was Strauss-Kahn schon zu recht bemerkenswerten Wahlkampfmitteln (Refrain: Strauss-Kahn wird gewinnen!) greifen liess.

Nun tauchte eine Woche vor der entscheidenden Abstimmung ein schön etwas älteres Video auf, aufgenommen bei einer kleinen Parteiversammlung im beschaulichen Angers, im Januar diesen Jahres. Darin sieht und hört man ein Statement Royales in dem sie die 35-Stunden Woche für Lehrer fordert. Sie kritisiert börsennotiertee Nachhilfeunternhemen, die auch Lehrer beschäftigten, die an staatlichen Schulen unterrichteten. Sie frage sich, warum diese Lehrer den Kindern von Priviligierten kostenpflichtige Nachhilfe gäbe, statt allen Schülern zur Vefügung zu stehen.

Damit unterstellt sie in einem Atemzug den Lehrern Faulheit (in Frankreich gilt eine staatlich verordnete 35-Stunden Woche. Für die Privatwirtschaft, öffentliche Verwaltung und Betriebe arbeiten zum Teil deutlich kürzer), persönliche Bereicherung und Sabotage.

Mit diesen Vorwürfen bringt die sozialistische Kandidatinkandidatin seit einer Woche nun die gesamte Lehrerschaft gegen sich auf. Das sind viele, viele potentielle Wähler.

Dass das Video ausgerechnet eine Woche vor der entscheidenden Parteiwahl auftauchte, sorgt für heftige Spekulationen und Raktionen:

Die einen gehen davon aus, Kreise um Konkurent Strauss-Kahn seien für die Veröffentlichung verantwortlich. Wieder andere vermuten die Partei Sarkozys UMP als Quelle. Beide hätten sicherlich ein Motiv: Das Ansehen der in Umfragen vorne liegenden Ségolène Royal zu beschädigen.

Dass dann noch im Namen von Dailymotion Google-Ads geschaltet wurden, die massiv Traffic auf das Video umleiteten, sorgte für zusätzliche Aufregung. Dailymotion wies im eigenen Blog die Vorwürfe zurück, die Anzeigen in Auftrag gegeben zu haben. Auch der politische Gegner, die UMP, scheint als Urheber der Anzeigen denkbar. Schliesslich hat die Partei einige Erfahrung im Online-Marketing und sich schon im letzten Jahr währen der langen Unruhen in Frankreich durch das geschmacklos geschickte Schalten von Anzeigen hervorgetan. Scheinbar reagierte Google Frankreich schnell auf den grossen öffentlichen Druck und entfernte die Ads inzwischen.

Für Frankreichs Grossblogger Loïc Le Meur (six apart) zeigt die Aufregung um die Veröffentlichung des Materials vor allem, dass sich die Spielregeln der Politik-Kommunikation nun endgültig geändert haben. Es gäbe kein „Off“ mehr, also keine öffentliche Äusserung im kleinen Kreise mehr, die nicht doch anschliessend ihren Weg an die ganz grosse Öffentlichkeit finde. Nebenbei hat er gleich einmal die wichtigsten 10 Neuerungen für Politker im Videoblog-Zeitalter aufgeschrieben.

Ob das Auftauchen des Videos einen Einfluss auf die Wahlentscheidung der knapp 220.000 wahlberechtigten Parteimitglieder hatt, wird man morgen wissen, wenn die Stimmen ausgezählt sind.

Das eigentlich Interessante an der Affaire ist nicht wirklich das, was Ségolène Royale in Angers sagte. Interessanter finde ich, dass nicht nur in Amerika Online-Videos wahlentscheidend sein könnten und wir bei den französischen Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr wahrscheinlich erleben werden, wie wichtig Online-Medien für die politische Meinungsbildung auch in Europa geworden sind.

Wann also tauchen die ersten Enthüllungsvideos in Deutschland auf und wann bekennen die ersten deutschen Grossblogger parteipolitisch Farbe? Bis 2009 haben wir ja alle noch ein bisschen Zeit. Falls wir bis dahin einen Internet-Sommer erlebt haben sollten.

Update 23:30: Die französischen Medien melden den Sieg von Ségolène Royal.

Erschien im Orginal bei Spreeblick.

Veröffentlicht von Andreas

Andreas Schepers leitet die Kommunikation des Berliner Labors des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz, DFKI. Hier schreibt er privat über Dinge, die ihn interessieren: Astronauten, Pop, etc... und KI.

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